Lucia Dellefant




Die Kombinationen unterschiedlicher Perspektiven fordern uns immer wieder neue Standpunkte einzunehmen und ermöglichen uns so ungewohnte neue Sichtweisen. 

* 1965 in München

 

Wikipedia

 

 


Ausstellungs- und Installationsansichten


Publikationen


Christian Kaufmann über Lucia Dellefant

esprit für alle! – persönlichkeitskonzepte und raumvorstellungen bei lucia dellefant


lucia dellefant meint es gut mit ihrem publikum, ständig ist sie ihm in ihren arbeiten begleitend zur seite. lucia dellefant ist dabei kultur-folgerin, trend-scout und kummerkastentante zugleich. wenn sie es be-sonders gut meint, stellt sie eine trophäe in aussicht. in der szene der jungen kunst ist lucia dellefant zu einer festen größe geworden. ortsbezogene arbeiten im öffentlichen raum und zahlreiche aus-stellungen in museen und galerien haben ihr werk einem breiten publikum vertraut gemacht. in arbeitsaufenthalten, die sie in viele gegenden der welt geführt haben, hat sie ihren horizont erweitert und die menschen, ihre kulturen, erwar-tungen und realitäten intensiv hinterfragt. die kunst von lucia dellefant ist demokratisch und lädt ihr publikum zum nachvollzug und oft auch zum mitmachen ein. eine wichtige tätigkeit der betrachter ist sogar ausgesprochen erwünscht: das eigenständige denken. 

die gesamte arbeit der vielfach ausgezeichneten künstlerin beschäftigt sich mit der spezies mensch. der mensch ist der alleinige bezugspunkt ihrer geistreichen gemälde und objekte. jede arbeit beleuchtet persön-lichkeitskonzepte und raumvorstellungen des ich. dellefant interessieren die grundzüge und die konstitution des ich, sie hinterfragt auf witzig ironische weise unsere inszenierungen, welches bild wir von uns entwerfen, wie wir durch herkunft, bildung oder partnerschaften daran arbeiten. denn nach diesen parametern richtet sich der ideale raum, den wir für uns als handlungsumfeld bestimmen. dieses wechselverhältnis von menschen und raum ist der kern ihrer (häufig seriell strukturierten) arbeit.


society signs

 

bekannt geworden ist lucia dellefant mit modernen emblembildern. das emblem, die verbindung eines bildes mit beischrift und motto, ist seit der zeit um 1500 fester bestandteil der kunst. heute begegnet uns die sinnfällige verbindung zumeist in der werbung oder bei warnhinweisen. beide informationen sind auf schnelle rezeption bedacht. idealerweise sollen sie im vorbeigehen (schneller fahren) beachtet und verarbeitet werden können. in lucia dellefants society signs wird ein bestimmter begriff des alltags oder eine menschliche eigenschaft einer tiefer gehenden betrachtung unterzogen. angelehnt an die ästhetik der werbung, persiflieren und exemplifizieren die society signs einzelne worte. in „feige” versteckt sich das ent-sprechende wort hinter jalousielamellen. passend zu „unterdrückt” ist der wortbestandteil „unter” schon fast dem „druck” gewichen. diese behandlung macht die strukturen eines komposit- oder lehnwortes sichtbar. das erscheinungsbild der wortbilder ist eher grafisch als malerisch geprägt und manchmal humorvoll an typografien gebräuchlicher marken angelehnt. so verbindet die künstlerin das jeweilige wort mit einem selbst entwickelten zeichen und kreiert auf diese weise ein logo zur eigenschaft. negative charakterzüge einer person wirken durch ein poppiges logo im ersten moment auch einmal verwirrend positiv und verunsichern die betrachter. immer aber sprühen die society signs vor esprit und spiegeln damit den geist ihrer urheberin.

life design

 

dellefants in mehreren städten ausgestellte große installation einer dreiteiligen sitzlandschaft, die aus den buchstaben des wortes ich bestand, war der ausgangspunkt für eine mitmach-aktion der künstlerin. die antworten auf ihre fragebögen zu aktueller befindlichkeit, jetziger und künftiger lebenssituation ihrer ausstellungsbesucher hat lucia dellefant als anregung ihrer serie life design umgesetzt. besonders interessant sind die antworten auf die fragen ausgefallen, wie man sein leben formen und gestalten möchte oder welche zukunfts-visionen die ausstellungsbesucher haben.die antworten geben einen repräsentativen querschnitt der sehnsüchte. neben pragmatischen über-legungen wie „ich möchte kraft für meine visionen haben” waren wünsche dabei wie „ich möchte ein interessantes leben führen und einen repräsentativen mann”. eine amerikanische ausstellungsbesucherin brachte ihre vorstellungen auf den punkt: „i want a house in the countryside, a four-wheel drive and a golden retriever”. kennzeichen der serie life design ist eine verstärkte hinwendung zu formalmalerischen möglichkeiten. anders als in den society signs wirdnicht ein begriff illustriert, sondern eine denkwürdige textfolgemit malerischen elementen kombiniert. die mit dem werk von lucia dellefant vertrauten betrachter suchen sofort nach den „richtigenbezügen”. die komposition bei „retriever” etwa bietet in der artvon materialproben eine meisterlich ausgeführte trompe-l’œilmalerei einer braunen holzmaserung, die von einer partie grün begleitet wird. wer nun allerdings noch nach pfotenabdrücken oder reifenspuren sucht, wird enttäuscht. dellefant hat ihre bilder lediglich als projektionsflächen der betrachter gestaltet und gibt ihnen anlass für eigeneüberlegungen, sich mit den wünschen anderer auseinander zu setzen oder sogar zu identifizieren. die arbeiten selbst sind vollkommen abstrakt, durch ihre kombination mit den motti entsteht die illusionvon dingen, architektonisch anmutenden formen und räumen. hier spieltdie künstlerin in ihrer formalen bildgestaltung mit den lesbaren visionen und sehnsüchten und fordert unsere fähigkeit zur assoziation heraus. die arbeit mit sprache und schrift ist in der bildenden kunst der neueren kunstgeschichte überhaupt ein wichtiges thema. besonders in der zweiten hälfte des zwanzigsten jahrhunderts kommt die ver-wendung von zeichen und wörtern in der kunst zu einer nie gekannten blüte. seit den 50er jahren etwa arbeitet der französische künstler ben vautier, ein künstler des fluxus und des „nouveau réalisme”, an schriftbildern. in seiner typischen schreibschrift erscheinen kurze, geistreiche sätze und schlagwortartige aussagen. roy lichtenstein etwa hat als wichtiger pop-art-künstler die sprachfetzen der comic-kulturin seine bilder aufgenommen. der japanische künstler on kawara schließlich malt konsequent seit über 30 jahren an redu-zierten bildern mit zahlen und wortabkürzungen, den so genannten date paintings. schriften erscheinen vorrangig in der kunst der 70er jahre, angefangen von joseph beuys, der von den tafelzeichnungen rudolf steiners inspiriert war, über dieter krieg bis hin zu jörg immendorf. ausschließlich mit dem thema schrift arbeitet die amerikanerin jenny holzer, die sich in ihren elektronischen laufschriften auf statementszu moral und weltvorstellungen spezialisiert hat. auch andere künstler, die sich mit persönlichkeitskonzepten und weltvorstellungen beschäftigt haben, wie bruce nauman, verwendenregelmäßig an prominenter stelle schrift in ihren bildern. die künstlerin barbara kruger verbindet gefundene werbefotografien mit kurzen sätzen, wie in einer sequenz strahlender kinder der 50er jahre mit dem satz „we need another hero”. ein besonders prägnantes beispiel ist ihr schriftzug auf einer papiertüte für den kölnischen kunstverein: „i shop, therefore i am”. fast alle genannten künstler haben wortbilder geschaffen. einige, wie der amerikanische pop-art-künstler robert indiana, haben diese worte auch als dreidimensionale objekte gestaltet. seine bekanntesten skulpturen be-ziehen sich auf das wort love. in vielen adaptionen hat indiana die ersten zwei buchstaben auf die lettern „v“ und „e“ gestapelt. vom bild zum dreidimensionalen wort ist es bei lucia dellefant ein kleiner schritt. schon in ihren gemälden verleiht sie ihren be-griffen dimension und perspektivische tiefe. viele arbeiten der künstlerin sind überaus voluminös, wie das bereits angesprochene ich-sofa, oder die im folgenden genauer vorgestellte lounge-skulptur mit dem begriff my-one. aus den worten ihrer malerei werden verbal-körper oder wortskulpturen. in allen arbeiten reflektiert die künstlerin über inhalte und erscheinungen der zeichensysteme. in ergänzung der malerei der society signs, entfalten die wort-objekte eine noch ungewöhnlichere art von präsenz. sie laden als trendig designte möbel zum sitzen und reflektieren ein. an manchen dreidimensionalen werken von lucia dellefant, wie der deutsch-hecke, kommt man nicht vorbei. wieder andere arbeiten, so der neid-teppich, kommen eher unscheinbar daher. wer will nicht gern über einen roten teppich einem besonderen ereignis entgegen schreiten? der rote teppich, den das große protokoll dem staatsgast bereits auf dem militärischen teil der flughäfen entgegen rollt, ist im showgeschäft die bühne der stars. die gestalten des öffentlichen interesses flanieren über die rote, sicher verklebte bahnder auslegeware. zum roten teppich (etwa der filmindustrie) gehören fotografen und blitzlichtgewitter, aber auch der neid der anderen, die im wettbewerb unterlegen sind. bei großen veranstaltungen legt lucia dellefant manchmal auch ihren eigenen roten teppich aus. die fläche ist dabei in die riesigen lettern des wortes neid zer-schnitten. erst nachdem die ehrengäste einige meter vorangeschritten sind, nehmen sie die buchstaben und schließlich die trennende bedeutung des wortes neid war.

my-one

 

die aneignung der welt ist gegenstand der installationen und aktionen von myone. wer aus „my” hoch eins „meins” ableitet und das schöne logo nicht als eine fremde, gut designte marke übersieht, hat den kern geknackt. mit ihrem logo my-one, hat dellefant demokratisch eine art modisches monogramm geschaffen, das sich auf jeden einzelnen beziehen lässt. jedes neue ich sieht etwas eigenes: my-one. unter dem motto „occupy logos and enjoy your own stuff” rief die künstlerin eine abkehr vom markenwahn unserer gesellschaft aus. wie die documenta 11 dezentral in mehreren aktionsplattformen organisiert, führte dellefant an mehreren orten im deutschsprachigen raum my-one-aktionen durch. in der letztjährigen weltkulturhauptstadt graz und essen oder bei ausstellungen in berlin und auf derart frankfurt: überall waren in my-one-lounges aufkleber mit dem logo verfügbar, die man über symbole und schriftzüge anderer produkte kleben konnte. mit aufbüglern ließ sich mit geringem aufwand die kleidung im do-it-yourself-verfahren personalisieren, wie ein video demonstrierte. dellefant-ausstellungen wurden zum treffpunkt der individuen, die nun als my-one-träger wieder unbewußt uniformiert und gebranded erschienen. my-one nimmt als logo eine zwischenstellung von bild und objekt ein, da es einen konzeptionellen raum beansprucht. durch die vielen teilnehmer an der aktion, die betrachten, bekleben und bügeln, beansprucht die arbeit einen kollektiven raum durch deutschland und österreich.

perfect plan

 

von den vielen in diesem katalog dokumentierten installationen wie: start / zufrieden, deutsch, neid, my-one, die tafel oder ja, istvor allem die arbeit perfect plan besonders signifikant für das werk dellefants mit persönlichkeitskonzepten und raumvorstellungen. diese große amorphe holzkonstruktion bietet sich als plattform der lebensentwürfe an: unterschiedliche sitzgelegenheiten bieten je nach vorliebe einzelpersonen einen entspannungsplatz, oder mehreren eine kommunikative eckbanksituation für eine gruppe. ein steiles stück führt den empiriker auf eine plattform oberhalb der augenhöhe der anderen: der platz für den überblick, sinnbild für die selbst gesuchte herausforderung und einen neuen horizont im leben. 

die tafel

 

unter den zahlreichen arbeiten der künstlerin im öffentlichen raum ist vor allem die tafel im stadtpark burghausen hervorzuheben. mit zehn metern länge bietet die tafel großen runden einen zauber-haften platz. unterkonstruktionen aus gebürstetem edelstahl tragen sitzflächen und die tafelplatte aus 16 mm starkem mattierten weißglas. durch die tischplatte geht der blick auf eine metallplatte, auf die in einer effektschrift dreidimensionale zeilen aufgedruckt sind. neben den namen der partnerstädte burghausens, ptuj, hohenstein-ernstthal und fumel, erscheinen in kleinerer typografie texte überdie geschichte und erzählungen einzelner bewohner der partnerstädte. so berichtet eine inschrift von benka pulko aus ptuj, der ersten frau, die die welt mit dem motorrad umrundet hat. der tisch wird zum geschichtsdokument, wenn ein anderer text von der wende im ostdeutschen hohenstein-ernstthal erzählt. auch die geschichte des sachsenrings oder südfranzösische hochzeits-bräuche sind themen. obwohl sehr ortsbezogen und authentisch, ist die tafel zugleich typisch für das œuvre lucia dellefants. die tafel ist ein symbol des zusammenseins, der kommunikation im großen und kleinen rahmen. mit der tafel gibt burghausen seinen bewohnern und besuchern einen ort für zusammenkünfte und feiern. start ein anderes kunst-am-bau-projekt realisierte dellefant in einem der fünf innenhöfe eines studentenwohnheims in münchen. innerhalb des gebäudes entstand eine rennbahn für zwei personen. diese umläuft im ersten obergeschoss den innenhof. wie ein roter faden zieht sich die bahn durch das gebäude und verbindet zwei wohngruppen miteinander. die arbeit start thematisiert den beginn eines neuen abschnitts im leben: sowohl das studium an sich als auch die konkurrenz der studenten untereinander. dellefants arbeit in diesem kontext ist pädagogisch besonders wertvoll, wenn sie unter dem glasdach der architektur in goldenen lettern ganz weit oben das wort „zufrieden” anbringt. durch das einfallende licht glänzt die zufriedenheit als erhabenes ziel. 

deutsch

 

unter dem titel deutsch hat lucia dellefant eine landart-arbeit angelegt, die sie erstmals im haus der kunst in münchen gezeigt hat (im rahmen der „großen kunstausstellung”). eine stattliche thujen-hecke ist der stolz eines deutschen gartenbesitzers. die hecke gehört zum traum vom eigenen haus, sie grenzt das eigene hab und gut ordentlichst zugeschnitten von dem des anderen ab. sie ist der sichtschutz, hinter dem die welt mit den ungeliebten nachbarn ver-schwindet – aber nur wenn sie gut gedeiht. audio cds lucia dellefant ist eine allroundkünstlerin, so produzierte sie cds mit den titeln „mächtig“, „insider“ oder „berühmt”. angenehme stimmen wiederholen, dass man es schaffen wird, ein star zu werden und ganz nach oben zu kommen. doch die schöne botschaft wird schnell monoton, die sätze wirken aufgesagt und penetrant aggressiv. ob man diese zukunft nach längerem zuhören immer noch erstrebenswert finden kann ? wohl kaum. hier scheinen die von andy warhol für jeden menschen in aussicht gestellten „15 minuten berühmtheit” interessanter. 

the award of change

 

berühmtheiten, wirkliche prominente, möchtegerns und sternchen erhalten mit den ständigen preisverleihungen regelmäßige bühnen. das umfeld einer preisverleihung bietet häufig der neid-teppich, nicht jedem wird er bereitwillig ausgerollt. der sammlung der vielen preise, die häufig zu anfang des jahres medienwirksam verliehen werden, wie bei oscar oder dem goldenen bären, hat lucia dellefant ihre ganz eigene trophäe hinzugefügt. the award of change ist eine auszeichnung für die veränderung bestehender rituale innerhalb der gesellschaft. der award of change steht für den mut, eingefahrene mechanismen und regeln zu überdenken und das leben neu zu gestalten. die ziele des preises sind moralisch hoch gesteckt: ein leben in frieden, freiheit und sozialer gerechtigkeit. diese ziele sind anerkannt und ehrenwert, doch heute so in gefahr wie in der vergangenheit. um diese ziele zu erreichen, bedarf es veränderungen in politik, wirtschaft, gesellschaft und im individuellen lebensentwurf. diese schritte will lucia dellefant mit ihrem award of change belohnen. auch in diesem neuesten projekt arbeitet dellefant nicht elitär. statt einer einzigen person oder institution einen preis zu widmen, hält sie den silbernen change bereit, der für jeden käuflich er-hältlich ist. er kann als ehrung für bereits vollbrachte neuerungen stehen oder als ansporn für noch ausstehende leistungen verstanden werden. ihn hat jeder verdient!kein preis ohne inszenierung der vergabe: dafür hat lucia dellefant eine installative plattform vorgesehen: drei kreisrunde podeste in 30, 45 und 100 cm höhe und unterschiedlichen durchmessern bieten den raum für die präsentation des awards und die eigentliche zeremonie zur eigenverleihung der changes. der award of change ist wie das my-one logo eigentlich eine zweidimensionale arbeit, die ebenfalls einen konzeptionellen raumbeansprucht. neben der verleihplattform als dem ort der handlung konzipiert lucia dellefant mit ihrem award of change einen ideellen raum aller an der aktion beteiligten. die arbeiten von lucia dellefant vereinen meine persönlichen ansprüche an ein kunstwerk. durch ihre realistischen bezüge sind die arbeiten der künstlerin einem weiten publikum zugänglichund vermittelbar. die ästhetik ihrer arbeiten ist bemerkenswert-anziehend. die arbeiten bleiben mit ihrer anregend positiven wirkung gut im gedächtnis. auch die künstlerische technik der arbeiten bewegt sich auf einem gleich bleibend hohen niveau der ausführung. vor allem inhaltlich hat die künstlerin eigenständig durch ihre fest-legung auf die reflektion von persönlichkeitskonzepten und raumwahrnehmung moderne formen der allegorie entwickelt. sie verbindet ästhetik und technischeskönnen zu authentischen arbeiten, die immer durch ihre innova-tionen auffallen, dadurch ergibt sich ihre bereits sammelwürdige stellung innerhalb der modernen gegenwartskunst. so prägnant der eigene auftritt der künstlerin lucia dellefant ist, sie winkt dem, der sich gleichfalls selbstständig herausfordert, mit der de-luxe-edition ihres eigenen kunstpreises: es ist der goldene award of change, den die künstlerin einmal im jahr selbst an eine person oder institution verleiht: strengen sie sich an liebe leser, sie schaffen das! colmar schulte-goltz, kunstraum essen _________________________________________________________

personal stragety

 

II die kunst von lucia dellefant ist demokratisch und lädt ihr publikum zum nachvollzug und oft auch zum mitmachen ein. der mensch ist der alleinige bezugspunkt ihrer gemälde und objekte. jede arbeit beleuchtet persönlichkeitskonzepte und raumvorstellungen des ich. dellefant interessieren die grundzüge und die konstitution des ich, sie hinterfragt auf witzig ironische weise unsere inszenierungen, welches bild wir von uns entwerfen, wie wir durch herkunft, bildung oder partnerschaften daran arbeiten. auf den acrylarbeiten der serie life-design finden wir scheinbar erkennbare dinge, architektonisch anmutende formen und raumerzeugende flächen, die zueinander in komplexen zusammenhängen stehen, sich jedoch einer eindeutigen aussage entziehen. eindeutig formuliert hingegen sind die auf den bildern zu lesenden visionen, pläne und sehnsüchte für das kommende leben. sucht man nun nach dem kontext zwischen textinhalt und formaler bildgestaltung, so sucht man vergebens - es gibt keine eindeutigen zusammenhänge. dellefant überlässt es jedem einzelnen, seine bezüge zwischen den bildelementen und worten selbst zu finden und herzustellen. die amorphen, architektonischen und geographischen formen werden zu assotiationskatalisatoren, die unsere eigene interpretation fordern. 

Du bist trendy!

 

15 Minuten Berühmtheit hat sich Andy Warhol für jeden Menschen vorgestellt. Und, geben wir's doch zu, wer von uns hätte nicht auch schon davon geträumt, einmal kein kleines Licht zu sein? Also schnell reingehört in die CD mit dem Titel "berühmt", die Lucia Dellefant für eine Ausstellung im Frühjahr 2002 produziert hat. Auf dieser CD haucht einem eine angenehme Stimme gebetsmühlenartig immer wieder ein, dass man es schaffen wird, dass man ein Star wird, ganz nach oben kommt. - Ebenso verlockend hören sich die Titel der beiden anderen von der Künstlerin produzierten CDs an: "mächtig" und "insider". Das wär's doch: endlich mal dabei sein. So sehr man zunächst versucht ist, die CDs mit nach Hause zu nehmen, so sehr ist man nach dem zweiten Hören genervt von den monoton herunter geleierten Sätzen, zumal die Stimme plötzlich etwas sehr Penetrantes bekommt und das Ganze ins Aggressive umschlägt. Man fühlt sich an Gehirnwäsche und Hypnose erinnert. Sehr rasch dechiffriert man damit das vordergründig Positive und beginnt sich zu fragen, ob man sich das Angepriesene eigentlich wirklich wünscht. Wenn sie nicht gerade CDs aufnimmt, malt Lucia Dellefant Bilder. Sie malt Eigenschaften, wie sie auch auf den CDs zu hören sind. "besser", "mutig", "glücklich", "stolz", "konservativ" oder "kulturbeflissen" ist da auf ihren Arbeiten zu lesen. Jedem dieser Begriffe widmet sie ein eigenes Bild, wobei sich die Gestal-tung des Wortes und die Gestaltung des Bildfeldes aufeinander beziehen. Oft verbindet die Künstlerin den jeweiligen Begriff mit einem Zeichen oder einer Abkürzung und kreiert auf diese Weise ein Logo, eine Marke. Marken, die nach dem Verständnis der Künstlerin gesellschaftliche Oberflächen reflektieren, "society signs" eben. - Tatsächlich kommt an den Marken heute keiner mehr vorbei. Der städtische Raum ist mit Markenzeichen übersät: Schilder, Werbetafeln und Plakate bestimmen das visuelle Bild der Stadt. In Frankfurt am Main beispielsweise künden die Logos der Banken an ihren Hochhäusern bereits von der Autobahn aus von der Macht dieser Global Player. An vielen Hauswänden, in U - Bahn-Stationen oder in Bussen drängen sich den Vorübergehenden Plakate und zunehmend auch grelle Bildschirmwerbung auf. In einer Gesellschaft wie der unseren, die zunehmend von medialen Bildern bestimmt ist, wird zwangsläufig das äußere Erscheinungsbild, also die Oberfläche - und damit auch unsere eigene Oberflä-che bzw. Erscheinung - immer wichtiger. Wie wichtig es beispielsweise ist, das richtige Outfit zu haben und sich markenbewusst zu kleiden, wissen heute schon die Kleinsten. So verspricht ein Markenanzug seinem Träger ein gewisses Maß an Prestige und da zahlt man doch gerne mal ein paar Euro mehr - und sei es nur fürs Logo.So wie die Marken unser Bewusstsein bestimmen, prägen sie auch unser kollektives Gedächtnis. Als vor einiger Zeit etwa die Firma Langnese ihr Logo veränderte, hat sie damit auch einen Teil unserer Geschichten abgeschnitten. D.h., sie hat ein Zeichen gelöscht, das viele von uns durch die Kindheit begleitet hat. Insofern, kann man sagen, sind die Bilder von Lucia Dellefant ein ironischer Spiegel einer sich zunehmend über Oberflächen und Oberflächlichkeiten definierenden Gesellschaft. In ihnen spiegelt sich beispielsweise, dass die 70er - Jahre - Retrowelle immer noch durch unseren Alltag rollt. Doch was damals aus der Hippie - und Blumenkinderecke kommend als Protest gegen gesellschaftliche Konventionen gemeint war, ist heute gelabelt. Mussten sich um 1980 die Jugendlichen noch mühsam ihre Jeans zerschneiden und mit Sprüchen beschriften, so wird ihnen das heute von Nobelmarken wie Gaultier oder Versace abgenommen. Lucia Dellefant greift diese Allgegenwart des Retrodesigns in ihrer Malerei auf. Auch auf ihren Bildern wabern seifenblasenartige Kreise im 70er - Design durch den Bildraum und bestimmen die typischen 70er - Formen und Farben das Geschehen.Lediglich eine Arbeit wie die mit dem Titel "kulturbeflissen" schert - wie sollte es anders sein - aus diesem Schema aus: Hier erinnern Bildfeld und Schrift an eine aseptische Arzneimittelverpakkung. Und auch Herr und Frau Neureich liegen traditionell immer daneben: in diesem Fall mit einem barocken Damastmotiv. Wie visualisiert man für einen Betrachter Begriffe wie 'fremd', 'machtgeil' oder 'überlegen' und wie ge-staltet sich das Verhältnis des jeweiligen Begriffs in Bezug auf Farbe und Bildfeld? Das sind Fragen, die im Zentrum des künstlerischen Interesses von Lucia Dellefant stehen, was eine Analyse der Arbeiten an-schaulich zeigt. So dreht sich bei der Arbeit "ego" das Logo dem Wortsinn folgend wie eine Spirale um das Zentrum, eben das Ich. Auf der CD - Hülle "insider" erscheint im Wort selbst ein integriertes Männ-chen, den Insider verkörpernd. Beim Bild mit dem Titel "unterdrückt" liegt das Wort 'unter' bildhaft unter dem Begriff 'drückt' und beim Bild "abhängig-selbstbestimmt" schließlich ist der Begriff 'abhängig' auch formal abhängig, nämlich eingespannt in das Bildfeld, während das Wort 'selbstbestimmt' leicht und frei schwebend auf die Bildfläche gesetzt ist. Kurz gesagt, die Künstlerin versucht, jedem Wort eine anschauliche Gestalt zu geben.Hier trifft sich Lucia Dellefant mit dem französischen Philosophen und Literaturwissenschaftler Jacques Derrida, der dem Bild eines Wortes einen gegenständlichen Wert zumisst und von Wörtern als 'Verbalkörpern' spricht. Sucht man nun in der Kunstgeschichte nach Beispielen einer solchen Verschränkung von Bild und Schrift, landet man interessanterweise einerseits bei der mittelalterlichen Buchmalerei und kann auf der anderen Seite die Brücke zu einem sehr neuzeitlichen Medium schlagen, das der Malerei von Lucia Dellefant sehr nahe kommt - dem Comic nämlich. Auch er basiert auf einer starken Wechselbeziehung von Bild und Schrift. Weder Bild noch Text können beim Comic für sich genommen existieren. Das eine ist ohne das andere nicht zu verstehen. Mit dem Verweis auf den Comic sind wir übrigens ganz in der Nähe der früheren Arbeiten von Lucia Dellefant. Viele der heutigen Logo - Arbeiten könnte man als die denkbar knappste Form eines Comics bezeichnen und würde damit eher Verbindendes als Trennendes zwischen der frühen Werkphase und der heutigen entdecken. Geblieben ist neben der Verbindung von Schrift - und Bildzeichen auch der Witz, mit dem die Künstlerin gesellschaftliche Beobachtungen in Bilder fasst: Eben Gesehenes, Erlebtes, Gedachtes und Gefühltes plakativ in Szene setzt, auch wenn die heutigen Bilder natürlich sehr viel strenger und reduzierter und weitaus weniger erzählerisch komponiert sind. Vergleichbar ist auch der Umstand, dass es sich auch im Fall der "society signs" um Malerei handelt. Eine Malerei, die nicht mehr so heftig und spontan daherkommt wie in den frühen Arbeiten, aber - und das ist bedeutsam - sich eben deutlich als Malerei zu erkennen gibt. Und damit setzen sich die gemalten "society signs" von Lucia Dellefant als Unikate schon formal in einen Gegensatz zu den uns im Alltag massenhaft begegnenden industriell gefertigten Markenzeichen. Die auf den Bildern erzeugte Vereinzelung der Begriffe führt den Betrachter gewissermaßen hinter die Oberfläche ihrer Erscheinung. Anders ausgedrückt: Die Heraushebung des Begriffs rückt plötzlich seinen Sinn in den Vordergrund. Was bedeutet eigentlich ein Wort wie 'fremd' - oder das Wort 'konform' oder das Wort 'machtgeil'? Und was bedeutet es für jeden Betrachter ganz persönlich? Unter diesem Blickwinkel gesehen, wird man nicht nur mit dem Um-stand konfrontiert, dass viele der Worte, die da so selbstbewusst und plakativ daherkommen, doch nicht so positiv sind, wie ihr Design es vermittelt. Sondern es zeigt sich auch, dass die Begriffe beliebig sind, d.h. für jeden etwas anderes bedeuten. An diesem Punkt nähert man sich zugleich einer wesentlichen Aussage der Bilder: Häufig nämlich wird nicht nur auf den zweiten Blick deutlich, dass jedes Ding zwei Seiten haben kann, sondern findet sich dieser Aspekt auch auf den Bildern selbst: so bei der bereits erwähnten Arbeit "selbstbestimmt-abhängig" oder auch bei dem interaktiven Objekt "falsch - richtig": Drückt man auf einen Button in der Mitte, fängt der Leuchtkasten an zu blinken und hält entweder bei "falsch" oder bei "richtig". Für mich stellt gerade diese Arbeit eine Art Schlüsselwerk dar, bedeutet sie doch, dass man seine Entscheidungsfreiheit abgibt und die Maschine entscheiden lässt. - Nur: was eigentlich entscheiden lässt? Es könnte sein, dass die Arbeiten von Lucia Dellefant auf eine sehr ironische Weise eine zunehmend konzeptlose Gesellschaft spiegeln, in der das Individuum seine Entscheidungsfreiheit mehr und mehr anderen überlässt und zum Insider wird. Christian Kaufmann, Frankfurt