Künstlerinnen der Ausstellung:
ANDESSNER Elisa / ANDESSNER Irene / DELLEFANT Lucia / GELLIS Yvette / GÖTZE Grita / INDRA.
KARNER Katharina / KRACHT Inge / MADERTHANER Franziska / MAYRHOFER Christa / NEHRBASS Jennifer / RATTRAY Diana
SCHATZ VERENA / SCHREINER Oktavia / SENGL Deborah / SHCHEBLYKINA Olga / SONNECK Elisabeth
Als Gast Künsterinnen-Gruppe: "SCHÜLANDER ENGALING"
Der weibliche Blick – Wegweisende Perspektiven in der Brunnhofer Galerie Linz
Marius Stiehler
„Der weibliche Blick“ ist der Titel der Ausstellung, der die Idee klar und eindeutig formuliert: Frauen wie sie die Welt sehen. Faktisch kulminiert diese Weltschau mit Hilfe des Kunstwillens in den Werken der Künstlerinnen, die so für die Betrachtenden faktisch nachvollziehbar werden. Die Ausstellung in der Brunnhofer Galerie in Linz entwickelt eine Perspektive auf zeitgenössisches, weibliches Kunstschaffen. Die Auswahl ist umfangreich an Künstlerinnen und Kunstwerken – heterogen an Materialien und Techniken. Die einzigartigen Kunstwerke oszillieren häufig zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion und stützen sich auf den Körper und die präzise Analyse der inneren und umgebenden Beziehungs-Welt durch die Kunstschaffenden. Die Künstlerinnen erforschen Persönlichkeitskonzepte, Körperbilder und Selbstbildnisse, thematisieren Perspektivwechsel, Beziehungen, Bezüge, Träume und Erinnerungen, hinterfragen traditionelle wie auch heutige Geschlechterrollen. Sie entwickeln ihre ganz eigenen Stile in Verbindung von Konzentration und Kraft mit Emotion und Überschwang. Das Können und die Virtuosität der Künstlerinnen sind deutlich sichtbar und spürbar. Es ist eine Kunst, die keinen Vergleich scheuen muss.
Leben braucht Vielfalt und Kunst ist Teil des Lebens. Durch die Kunst drücken sich die Künstlerinnen selbst aus und zeigen uns ihr Wesen in großer Vielfältigkeit. Die Schau möchte den mannigfaltigen Werken eine Bühne bieten und spannenden Biografien der Künstlerinnen nachspüren, zudem so einen Beitrag zur Sichtbarkeit von Künstlerinnen unserer Zeit leisten. Unter anderem sind in der Ausstellung Gemälde, Objekte und Fotografien zu sehen, es macht die Frauen also zumindest deskriptiv zu Malerinnen, Bildhauerinnen, Konzeptkünstlerinnen und Fotokünstlerinnen. Jede Kategorisierung ist stets auch etwas Einschränkendes. Man sollte eine Wahrnehmung jenseits dieser Kategorien zulassen und sie allgemein als Künstlerinnen erkennen. In ihrem Sein als Künstlerinnen sind sie uneingeschränkt. Diese ganz allgemeine Verortung als Künstlerinnen und damit als Schöpferinnen von Kunst, bringt mit sich, dass jede dieser Künstlerinnen die Freiheit hat, Kunst weiterzudenken. Vielleicht sollte man optimistisch sogar noch weiter gehen und sagen, dass es nicht um Künstlerinnen geht, sondern um Kunstschaffende, gleich welchen Geschlechts.
Heute ist der Anteil der weiblichen Studierenden an den Kunstakademien in Europa und Amerika höher als jener der Männer. Es ist zeitgemäß, dass die Ausstellungsvorhaben Künstlerinnen und Künstler gleichermaßen häufig zeigen. Manch ein Museum zeigt sogar mehr Künstlerinnen als Künstler, was als eine Art Überkompensation einer jahrzehntelang verfehlten Ausstellungspolitik gedeutet werden könnte. In jedem Fall erleben wir zu Recht eine von Frauen getragene Erweiterung des gegenwärtigen Kunstkanons.
Insbesondere für den Standort Linz mit der Kunstuniversität und die zahlreichen kunsthistorischen und gegenwärtigen Bezüge zur Kunst ist das Werk jeder einzelnen Künstlerin eine enorme Bereicherung des Forschungs- und Abenteuer-Feldes zum Kunstwerk. Wir können und müssen sogar dieses Feld in herausragender Stellung würdigen und befragen. Ausstellungen der letzten Jahre haben ein Laboratorium geschaffen, in dem man zeitweise wandeln kann zur intensiven Bilderfahrung und reflektierendem Diskurs. Wahlweise kontemplativ schauend oder aktiv diskutierend. Die Brunnhofer Galerie ist ein Ausstellungsort, der auf vielschichtige Weise Verknüpfungen bietet. Die Präsentation in der Brunnhofer Galerie inmitten von Linz reiht sich in die Bemühungen und Errungenschaften vor allem jüngeren Datums ein, den Kanon der Kunstgeschichte und des Kunstmarktes neu zu beleuchten und sie ist damit international in bester Gesellschaft. So zeigte die Lübecker Kunsthalle St. Annen kürzlich eine Fotografie-Ausstellung mit dem Titel „Female View“, im Bucerius Kunstforum in Hamburg war die Portraitmalerei von Gabriele Münter zu sehen und die Kunsthalle Emden präsentierte weibliche Selbstportraits von Paula Modersohn-Becker bis Cindy Sherman. Sogar in Hongkong, genauer gesagt im dortigen Goethe-Institut, wird dem „Weiblichen Blick“ nachgegangen. Der Kunstpalast in Düsseldorf widmete der Schweizer Malerin des Klassizismus Angelika Kauffmann eine umfangreiche Einzelausstellung und auch in der Kunstsammlung des Landes Nordrhein-Westfalen treten Frauen wie Etel Adnan erstmals in einer monografischen Einzelausstellung in das Licht der breiten Öffentlichkeit. Die Liste könnte man noch lange weiterführen und sie wächst ständig.
Phänomene sind nie rein zufällig oder entstehen ohne Vorzeichen oder Zusammenhänge. Ein jeder kennt den Abstrakten Expressionismus. Die Kunst des Abstract Expressionism, als ein hauptsächlich amerikanisches Phänomen beziehungsweise des Informel in Europa in den 1950ern und 60ern wurde größtenteils von Männern wie Jackson Pollock, Willem de Kooning, Hans Hartung und anderen dominiert. So nehmen wir es zumindest erst einmal wahr. Und damit stellt sich direkt die Frage nach der Wahrnehmung von historischen Sachverhalten. Frauen wie Martha Jungwirth aus Wien als Nachfolgerin der Künstler:innengeneration des Abstrakten Expressionismus führen durch ihr expressives Werk das Engagement ihrer Vorgängerinnen weiter, die mit den Klischees über gestische Malerei als hauptsächlich maskulinen künstlerischen Ausdruck aufräumten. Wenn der Name Gabriele Münter fällt, folgt meist die Information, dass sie die Lebensgefährtin von Wassily Kandinsky war. Münter war selbst Malerin und eine der Protagonistinnen des deutschen Expressionismus. Auch hierbei ist der Unterschied entscheidend, dass die ein oder andere Künstlerin nicht „die Frau von“ einem bekannten Künstler war, als ob dies ihre hervorstechende Eigenschaft gewesen wäre, sondern dass man durch den Perspektivwechsel erkennen kann, dass wiederum der bekannte Künstler „der Mann von“ einer wegweisenden Frau der Kunstgeschichte sein kann. Frauen wurden in Hinsicht auf die historische Disziplin der Kunstgeschichtsschreibung bis auf einige Ausnahmen weitgehend vernachlässigt. Dabei erleben wir eine vergleichsweise junge Reflexion über das weibliche Kunstschaffen in Kontext des kunsthistorischen Diskurses. Man dürfte es als soziales und kein ästhetisches Problem sehen, wenn Künstlerinnen nicht die angemessene Aufmerksamkeit zuteilwird.
Die Räume der Brunnhofer Galerie ermöglichen es auf einzigartige Weise, die mittel- bis großformatigen und äußerst vielzähligen Werke in diesem Ausmaß zu präsentieren. Die Auswahl entsteht durch das Zusammenkommen der Kunst an sich. Es wird nicht auf das einzelne Werk eingegangen, sondern auf die Vielfältigkeit der Präsentation. In der Gesamtheit gesehen, entsteht innerhalb der Ausstellung ein Dialog der Kunstwerke miteinander, aber nicht zwangsläufig einer, der während des Schaffensprozesses durch die Künstlerinnen bewusst mit den Kunstwerken ihrer Zeitgenossinnen und der Geschichte geführt wurde und an dessen Ende als Ergebnis die neu geschaffenen Werke stehen. Es ist ein Dialog von mehreren Seiten gemeint, die sich in dieser Ausstellung begegnen und Ausdruck eines individuellen Standpunktes sind. Es ist ein Austausch der Positionen, der bestenfalls exemplarisch vollführt werden kann. Die Ausstellung ist so angelegt, dass die Betrachtenden der Kunstwerke selbst in einen kreativen Dialog eintreten. Die Kunstwerke sollen nicht von ihrer objektivierenden Einbettung in eine individuelle Biografie her gelesen werden, sie sollen vielmehr ihren Platz in der Lebenswelt jedes einzelnen Betrachtenden finden. So knüpft das Werk an die in den Betrachtenden jeweils individuell oder im kollektiven Gedächtnis gespeicherte Erinnerungen an. Die sich bildenden Assoziationsketten sollte man möglichst freilaufen lassen und ganz persönliche Erfahrungen einflechten.
Die Werke führen durch ihre Eigenschaften dazu, dass jene, die sie ansehen, in der eigenen Vorstellung eine Assoziationskette beginnen, und damit das Kunstwerk, das an sich vollendet ist, durch Einbildungskraft ergänzen oder sogar Teile davon sinnbildlich überschreiben. Dort wo dem Kunstwerk ein Abstraktionsgrad mitgegeben wurde, wird in besonderer Weise an das Assoziationsvermögen der Betrachtenden appelliert.
Man darf es zulassen, dass sich das Kunstwerk von seiner Schöpferin emanzipiert und als ein gemachtes Objekt als Tatsache existent ist. Alle Betrachtenden können sich mit dem Kunstwerk in Beziehung setzen und dadurch steht es den Interpretationen jedes Betrachtenden offen. Gemessen an der Intention der Schöpferin gibt es keine richtige oder falsche Interpretation.
Die Interpretation eines gesamten Kunstwerks ebenso wie seiner Teile können als ein historisch-gesellschaftliches Konstrukt verstanden werden, das man im Kontext des Zeitgeistes verorten muss. Treten bei einem Kunstwerk eine geschlechtsspezifische Physiognomie und insbesondere Bezeichnungen, Namen oder Titel hervor, beginnt eine Assoziationskette mit männlichen und weiblichen Eigenschaften. Das Rollenverständnis folgt nicht ausschließlich dem Thema des unterschiedlichen männlichen und weiblichen Prinzips, jedoch sind alle Betrachtenden selbst gefragt, wie sie damit umgehen und welche Interpretation sie für angebracht halten.
Es handelt sich immer um einen künstlich geschaffenen Rahmen der Kunstausstellung und der Dialog hat einen experimentellen Ausgangspunkt. Der Rahmen ist hiermit gegeben.
Gibt es einen weiblichen Blick in der Kunst?
Die Antwort ist wie so oft pauschal nicht zu geben. Die sozialen Konventionen in einer Gesellschaft beeinflussen sowohl, wie Künstlerinnen sich ausbilden und ausdrücken können und wie sie beruflich existieren, als auch, wie ihre Kunst rezipiert wird.
Im Idealfall handelt es sich um eine neutrale Wertschätzung ihrer Kunst und keine Unterdrückung ihrer Identität. Einige Künstlerinnen der Kunstgeschichte beharrten zu Recht darauf, dass es ausschließlich um gute Kunst gehe, gleichwohl, von wem sie geschaffen würde. Jedwedes brandmarkende Etikett überwindend, ist Kunst identitätsstiftend. Es geht nicht um Anerkennung als Künstlerinnen, aus dem Grund, weil es Frauen sind, sondern weil ihre Kunst die entsprechende Qualität hat. Dies ist der letzten Endes konsequente Ausgangspunkt wirklicher Freiheit, Gleichberechtigung, Gleichstellung und Chancengleichheit.
Marius Stiehler, M.A., Kunsthistoriker mit Forschungsschwerpunkt Fotokunst und Skulptur. Doktorand im Bereich Kunstwissenschaft an der Katholischen Privat-Universität Linz.
Marius Stiehler studierte Kunstgeschichte und Geschichte (B.A.) sowie Kunstgeschichte (M.A.) mit dem Schwerpunkt Kunstvermittlung in Museum und Kunsthandel an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und war nach seinem Abschluss 2019 bis 2023 Mitarbeiter in der ITNS-Nachlassverwaltung Ingolf Timpner. Er arbeitete bereits während des Studiums an der Universität Düsseldorf und in der Stiftung Schloss und Park Benrath im Museum für europäische Gartenkunst sowie im Anschluss daran im Galeriebereich. Jüngste Publikation: Ingolf Timpner. Roi et Reine. Zwei plastische Objekte als Zeitkapseln und animistische Erfahrung, Beitrag in Deutsch mit Übersetzungen in Englisch und Französisch, Nahlah Saimeh (Hg.), Düsseldorf 2023.