Wie bei einem Roman, wächst bei Karners gesamten Werkreihen die Geschichte auch mit jedem Bild, sie verändert sich unerwartet, greift kleine Ideen auf und macht sie zu großen Kapiteln.
Ausstellungskatalog
Katharina Karner
Past Forward
Mit einem Text von
Anna Maria Brunnhofer
(Auszug)
Katharina Karners Kunst lässt interessiertem Publikum folgende Entscheidung frei: entweder, die Werke wollen in einer humoristischen Schau verweilend betrachtet werden, oder diese humoristische Komponente wird auf einer Metaebene hinterfragt und man taucht mit der Künstlerin selbst in eine tiefgreifende Durchleuchtung ästhetischer, sozialwissenschaftlicher und kunstgeschichtlicher Grundbegriffe ein. Das Besondere daran ist, dass Betrachtende nicht zur Analyse gezwungen werden, denn sie adressiert weder direkte Kritik noch zweideutig lesbare Nachrichten.
Vielmehr nimmt der angewandte, groteske Humor die Schwere eines „Müssens“ aus jeglichem Konzept. Es wird eine Tür zur möglichen Reflektion geöffnet, auf die im Gegensatz zu der direkten Kritik nur soweit einzugehen ist, wie Rezipienten dies möchten. Lässt man sich darauf ein, so bietet Katharina Karners Kunst eine Demaskierung kunstgeschichtlicher und sozialer Normen, die sich in unserer Gesellschaft verwurzelt haben.
(Auszug)
1919 schrieb Sigmund Freud einen Aufsatz über das Unheimliche. Darunter verstand er eine bestimmte Form der Angst, die aus der Wiederkehr des Verdrängten entstehe. Unheimlich ist auch das Gefühl, das sich einstellt, wenn man Katharina Karners aktuellen Arbeiten gegenübersteht.
Aus monochromen, oft dunklen Hintergründen schälen sich Kinderporträts hervor, die den Betrachter auf den ersten Blick stark befremden. Karner entwickelt ihre „Kids“, indem sie historische Putten-Köpfe auf Kinderkörper aus der Gegenwart malerisch montiert. Diese irritierenden Mischwesen konterkarieren in radikaler Weise das allgegenwärtige Bild vom fröhlichen, ungezwungenen, unschuldigen und unbeschwerten Kind. Dadurch schleudern sie uns aber auch den Blick des Erwachsenen darauf zurück.
K.U.R., dieses Akronym steht für Karner´s Universal Roboter und betitelt die Bildserie der Richtig Unfähigen Roboter. Mit Umsetzung dieser reiht Katharina Karner sich in die Rezeptionsgeschichte des Rossums Universal Roboters (Rossumovi Univerzální Roboti) ein, welcher 1921 durch Karel Čapek und sein Drama R.U.R. geprägt wurde. Hier fand erstmals die Benennung eines künstlich erzeugten technischen Wesens mit artifizieller Intelligenz als Roboter statt, und nahm bald Einzug in die Alltagssprache. In dem Stück wird die Utopie der Androiden als Sklaven der Menschen behandelt - in unsere Arbeitswelt integriert, ob ihrer Fähigkeiten aber ausgebeutet. Karner eignet sich diesen Titel des R.U.R. der Gebrüder Čapek an und lässt aus ihm die Really Unable Robots / Richtig Unfähigen Roboter entstehen. Sie tauchen als klobig wirkende zusammengestückelte „Dinger“ auf, wobei die Betitelung als Ding schon inhärent ihre scheinbare Nichtsnutzigkeit widerspiegelt. Mit Fortschritt der Reihe spielt Katharina Karner nun mit einer zunehmenden Vermenschlichung und Einbindung der Androiden in unsere Kulturgeschichte, jedoch eben gerade nicht als übermenschliche oder „frankensteinsche“ Wesen, sondern als scheiternde, nutzlose Individuen. Wie bei einem Roman, wächst bei Karners gesamten Werkreihen die Geschichte auch mit jedem Bild, sie verändert sich unerwartet, greift kleine Ideen auf und macht sie zu großen Kapiteln. Mit jeder entstandenen Reihe beginnt sie wiederum aufs Neue eine homogene Abhandlung, und bedient sich dabei jeglicher Medien, welche sie für nützlich und notwendig hält. Das technisierte Themenfeld der Roboter sieht sie am besten im Malerischen umgesetzt, lediglich eine Videoskulptur dient als Prototyp des R.U.R. mit welcher sie diesen auch als in der Realität bestehend bestätigt sieht. In der gesamten Reihe lässt sich ein indifferenter malerischer Stil erkennen, der die Rezipient_innen die Konkretisierung des R.U.R. als Heranreifung in der Künstlerin selbst spüren lässt. So unterzieht Karner die Serie selbst auch einer Entwicklung. Der narrative Aspekt nimmt dabei aber durch die spielerische Ästhetik, in der sie sie lesbar macht, nicht Oberhand. Es ist für die Rezipient_innen schwierig einen Strang zu legen, wenn sie nicht selbst noch ihre Phantasie betätigen. Collagen von Sujets und Brüche der Stile geben den Anreiz, flexibel und offen an die Bildbetrachtung heranzugehen und eine vorgefasste Aufgeklärtheit beiseitezuschieben. Selten arbeitet Karner mit Sprache im Bild, zu eindeutig wären hierbei die Wegweiser der Hermeneutik. Bei der Bildentwicklung der R.U.R. nun, vom isolierten Portrait eines Roboters hin zu einer Roboterfamilie und der Konnexion dieser Androiden mit Menschen, findet sich mit dem Familienidyll ein - für das gesamte Œuvre Karners - wichtiges Themenfeld wieder. Abstrahiert sie dieses in Really Unable Robot Family (Hush, Little Baby!) zunächst insofern, als dass alle Mitglieder der Familie Roboter verkörpern, so findet sich die Thematik in Bildern wie The Robotnik Family und Breadwinner, welche Roboter und Menschen in einem Bild vereinen, emphatischer dargestellt. Fast suggestiv erscheinen Interrogationen: In wie weit müssen bei der Familie, dem Kleinstgebilde der Gesellschaft, die einzelnen Mitglieder funktionieren - was oder wer ist austauschbar? Wann ist ein Funktionieren des Individuums in unserer Gesellschaft notwendig, inwiefern Scheitern möglich? Oder auch: Welche Kategorisierungen erfährt der/ die Einzelne durch gesellschaftliche und individuelle Zuschreibungen? Dass Karners Universal Roboter dabei ein - unserer zeitgenössischen Auffassung nach - widersprüchliches Äußeres haben, unterstreicht die bewusst erzeugte Spannung. Nichts erinnert an Asimo, allerhöchstens an den veralteten R2D2, sie bieten nicht den Anschein und wecken nicht die Angst, uns Menschen in Leistung und Intelligenz zu übertreffen. Durch die signifikante Stümperhaftigkeit des Roboters, mit seinen klobigen Teilen unfähig Artifizielles auszuüben, wird unsere im Alltag vorhandene Unfähigkeit thematisiert, die Technik mit welcher wir uns umgeben vollends zu verstehen und zu bedienen. Ein gewisses Ausgeliefertsein und eine Hilfesuchung sind den meisten Nutzer_innen schon bei den alltäglichsten Gegenständen wie Mobiltelefonen anzusehen. Eben jene Hilflosigkeit strahlen auch diese R.U.R. aus. Mit der Störung der Verfasstheit von Betrachter_innen lockt uns Karner in den Bereich der Reflexion der stattfindenden Technisierung, unseres Alltags und ihrer Strukturen. Was wurde durch sie ermöglicht, und vor allem, wie weit beherrscht die breite Masse all die neu erschlossenen Kapazitäten - und wie weit die Technik die Masse? Die Intention ist dabei, zur Reflexion anzuregen und nicht salopp den Weg der Fortschrittskritik zu beschreiten, denn moderne Technologie ist mittlerweile fest in unserem Leben – in unserer Kultur – verankert! Unsere Kulturgeschichte ist bei den R.U.R. immerfort präsent, denn den einzelnen Werken ist es als Gemeinsames gegeben, dass sie konkret in Ikonographie und Sujets unserer Kulturgeschichte gesetzt sind. Katharina Karner lässt den Betrachter damit in den kulturwissenschaftlichikonologischen Ansatz eines Aby Warburg eintauchen oder auch in die Ikonologie eines Erwin Panofsky. Es ist dabei keineswegs von Bedeutung, ob dies dem / der Betrachter_in bewusst ist, denn eine Besonderheit der Werke ist der spielerische Umgang mit den Bildinhalten, welche Karner zur Verfügung stellt. Sie arbeitet „allgemeines Bildgut“ ein, ändert es teils ab und verbindet es mit Befremdlichem. Selbst bei Unkenntnis des rezipierten Werkes, kennt man doch meist die alltägliche Deutung der Ikonographie und würde sich eventuell nicht an einem fehlenden Detailwissen stören, wären nicht plötzlich vorerst irrational erscheinende Konnexionen im Bild gezogen, wie zum Beispiel mit den R.U.R.. Diese Veränderung macht also fragwürdig, und zwar einerseits das Werk in seiner speziellen Themenstellung, andererseits in seinem kulturwissenschaftlichen Kontext. Beginnend sieht man diese Verschränkungen bereits bei Robotnik Residence, in welchem ein Unable Robot auf Richard Buckminster Fullers Dymaxion Haus trifft, welches als technische Meisterleistung der Baukunst bezeichnet wurde, im Alltag aber nicht bestehen konnte und bald schon wieder vom Markt verschwand. In der K.U.R.-Reihe später entstanden, finden sich auch durch altmeisterliche Malerei in Szene gesetzte Rezeptionsbilder in Verbindung mit dem serieninhärenten Sujet des R.U.R., bei welchen die angesprochene Verknüpfung nochmals um einiges demonstrativer erscheint. Bedeutungsgeschichtlich höchst aufgeladen und auch in der Werkreihe der R.U.R hervorstechend ist hierbei das Bildnis der schlummernden Venus von Giorgione, bei Karner in Hot Bot abgewandelt. Mit diesem Werk reiht sie sich ganz bewusst in den Kanon der verschiedensten ikonographischen Theorien1 , und wichtigen Werken der Rezeptionskunst ein. Von Tizians Venus von Urbino über John Vanderlyn über Èduard Manets Olympia bis hin zu Mel Ramos und Valie Export. Viele griffen bereits das Thema der Venus auf und verwirklichten es in ihrem eigenen Sujet. Alleine schon durch diese über Jahrhunderte andauernde Rezeptionsgeschichte wurde es zu einem höchst bedeutungsaufgeladenen Bild, da die Protagonistin mal als aufreizende Ehefrau, dann als Kurtisane oder auch als selbstbestimmte Frau – sich ihrer eigenen Sexualität bewusst – dargestellt wird. All diese verschiedenen Bedeutungsebenen wurden durch leichte Abänderungen der Haltung der nackten Frau und des Hintergrundes erzeugt. Karner spielt nun wieder mit genau dieser Rezeptionsgeschichte, bleibt der Haltung Giorgiones Venus treu, lässt den Blick wiederum wie Manets Kurtisane direkt auf die Betrachter_innen gerichtet, aufgrund des Roboterkopfes aber vollends unlesbar. Die Haltung der Hand verliert dabei ihre scheinbar unschuldige Zufälligkeit und Passivität, reiht sich somit ein in die Rezeption der Venus als masturbierende, sich ihrer Sexualität bewusste Frau, und erzielt dadurch ein aufreizendes und teils wiederum verstörendes Moment. Welten bersten also in Karners Kunst aufeinander, obgleich in spielerischer Form, ikonographisch doch auf brutale Weise. Durch die so entstandene Spannung im Bildinhalt lässt sie verschiedenste Positionen zu, gibt wiederum keinen Weg vor und lädt zum angeregten „hopping“ der Gedanken ein. Sich gegen die immer schon gewesenen Konnotationen zu stellen liegt dem nicht zugrunde, vielmehr sieht die Künstlerin ihre Werke als ein Hervorheben der Tatsache, dass man sich der Zuschreibungen nicht erwehren, wohl aber durch Konnexion und Aneignung neue Bedeutungsebenen erschließen mag.
1 Carlo Ginzburg, Die Venus von Giorgione. Ikonographische Innovationen und ihre Folgen, in: Vorträge aus dem Warburg- Haus, Band 2, Berlin 1998 S. 1 – S. 38