FRANZISKA MADERTHANER




Franziska Maderthaners Bilder sind Collagen: Sie kombinieren die Vergangenheit und die Gegenwart, Fotorealismus und Abstraktion.

*1962 in Wien


Ausstellungs- und Installationsansichten


Texte Und Medien


Franziska Maderthaner Abstrock Kunstbuch Malerei Galerie Brunnhofer

Werkkatalog

 

 

Franziska Maderthaner

Abstrock

 

Franziska Maderthaners Arbeit is "Fluide Metamalerei". In ihren höchst eigensinnigen Bildern verwandelt sie den Titanenkampf Abbild gegen Abstraktion in Variantenreichste Tänze. Je länger man sie betrachtet, umso mehr beginnen tradierte Bildbedeutungen und Sehgewohnheiten zu schwingen und zu fließen.

 

Texte: Günther Oberhollenzer, Wolfgang Pauser,
Doris Knecht, Lucas Cuturi, Andreas Spiegl

 

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Günther Oberhollenzer Über Franziska Maderthaner

Aus dem Vollen schöpfen. Der neue malerische Raum in den Bildern von Franziska Maderthaner


An diese Malereien muss sich das Auge erst gewöhnen: kräftige Farben und große Gesten, eine ungemein reiche Bilderzählung, verschwimmende Grenzen zwischen abstrakten und figurativen Elementen. Wir sehen ein schönes Turnierpferd, realistisch im Profil gemalt. Doch sein Hinterteil löst sich in gegenstandslose Muster auf, und im Hintergrund erscheinen, wild miteinander kombiniert, mehrere Fragmente aus Picassos Guernica: die schwebende Lichtträgerin oder auch die im Leid gefangene Stute, das Maul weit aufgerissen. Wir sehen ein tanzendes (Liebes-)Paar in grau-brauner Militäruniform. Ganz nahe herangezoomt im vorderen rechten Bildraum scheint es jeden Moment aus diesem heraustreten zu können. Der Kopf des Mannes ist ausgelöscht, das geflochtene Haar der Frau löst sich wie selbstverständlich in einem breiten, schwungvollen Pinselstrich auf. Die üppigen barocken Frauenfiguren im farbenprächtigen Hintergrund entdecken wir erst auf den zweiten Blick. Wir sehen ein gutes Dutzend Fußpaare in schicken Schuhen, auf einem weißen Boden stehend. Sie gehören vermutlich Vernissagebesucher_innen, doch das ist reine Spekulation, denn bunte Farbkaskaden ergießen sich über einen Großteil des Bildraumes, ein dichtes, kräftiges Kolorit, blau, gelb, rot und braun, aus dem sich wild gestikulierend Hände heraus entwickeln. Nur drei Malereien aus dem so reichhaltigen Schaffen von Franziska Maderthaner.

Die Künstlerin schöpft aus einem beinahe uferlosen Bildarchiv, das sie über viele Jahre zusammengetragen hat und immer noch stetig erweitert. In ihrem visuellen Gedächtnis mischen sich kunstgeschichtliche Motive mit Plattencovers, Gebrauchsgegenstände mit alltäglichen Begebenheiten. Den Anfang ihrer Bildgeschichte(n) bildet ein abstrakter Farbraum. Seit rund zehn Jahren beginnt die Malerin den Arbeitsprozess meist mit kontrollierten wie intuitiv gelenkten Schüttungen. So entsteht jener Assoziationsraum, aus dem sie die figurativen Motive wie auch die abstrakten gestischen Setzungen entwickeln kann. Maderthaner liebt das Leichte, Fluide und Zufällige in der Malerei, sie sind Möglichkeit und Freiheit, sich treiben zu lassen, Kompositionen zu finden, Bildwelten zu gestalten. Die Leinwand ist ihr Schlachtfeld und Forschungsgebiet, ein Ort der Erkenntnis und ein Mysterium zugleich. Für all das brauche sie die Figur, betont die Künstlerin, die gestisch abstrakte Malerei habe für sie kunsthistorisch einen Endpunkt erreicht. Dennoch sind ihre Bilder von den Grundgedanken des Abstrakten Expressionismus geprägt, einen flachen, zweidimensionalen Bildraum über die freie Aktion der Farbschüttung jenseits der visuellen Kontrolle des Geschehens durch die Malerin aufzubauen. Gleichzeitig führt die darauf fußende Figuration zu einem illusionistischen Bildraum, der dem Charakter einer strengen Zweidimensionalität des Abstrakten Expressionismus und seiner Nachfolger in der Malerei der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts klar entgegenläuft. Doch gerade aus der Auflösung des abstrakt-expressiven Bildraumes und räumlicher Neudeutung bzw. -erweiterung beziehen Maderthaners Bilder in einem hohen Maße ihre Spannung, Ausdruckskraft und Stärke.

Nach Robert Fleck leben wir in einer Epoche tiefen Umbruchs in der bildenden Kunst, in der die Vorschreibungen, die in den Köpfen verankerten Regeln und die Formensprache der klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts und ihrer Nachfolgebewegungen nach Jahrzehnten ihrer Abarbeitung zum ersten Mal kein Problem mehr darstellen. Gleichzeitig würden, so Fleck weiter, gerade in der Malerei der letzten Zeit derart viele neue Dinge versucht, erprobt, sukzessive in Stellung gebracht und auch durchgesetzt, dass man heute von einem neuen Bildraum und den Umrissen eines neuen Paradigmas in der Malerei sprechen könne. Dies zeige sich insbesondere in einem Zwiegespräch zwischen der zweiten und dritten Dimension, einhergehend mit der Auflösung der zweidimensionalen Bildstruktur und einem Atmen und Pulsieren, oder – wie Fleck es nennt – einem „Floaten“ des Bildraumes.[1]

Und so sehen wir auch in Maderthaners Malereien einen selbstbestimmten und freien Umgang mit Bild- und Raumkoordinaten, eine sich stetig verändernde Komposition, eine tanzend schwebende, sich neu erfindende Figuration, eingebettet in einem abstrakten Farbraum, aus diesem hervorgegangen oder davon auch wieder verschlungen. Die Künstlerin scheut dabei nicht die große Geste, den barocken Überschwang, nicht den Einsatz von digitalen Medien (etwa bei der virtuellen Bearbeitung ihrer Malvorlagen in ihrem Archiv) oder den Vergleich mit den von ihr reichlich zitierten Werken der Kunstgeschichte.

Kunst entwickelt sich immer in bewusster oder unbewusster Bezugnahme auf bereits existierende Werke. Doch Maderthaner eignet sich bewusst Werke bekannter und weniger bekannter Meister_innen der Kunstgeschichte an, verleibt sie sich durch Übermalung oder partielle Auslöschung ein, verzerrt ihr Aussehen, inszeniert sie neu, schreibt ihre Geschichten um, setzt sie in neue Kontexte, etwa gleichberechtigt mit Motiven aus unserem Alltagsleben. Alles ist für die Künstlerin bildwürdig. Ein Teller in der Optik von Gmundner Keramik ebenso wie in der Luft schwebende Nylontaschen, ein handelsüblicher Bauhandschuh ebenso wie bunte Stoffmuster, Jeanshosen oder andere zeitgenössische Kleidungsstücke. Maderthaner macht keinen Unterschied zwischen einer trivialen Begebenheit aus unserer Gegenwart und einer bedeutungsschweren Szenerie aus einem kunstgeschichtlichen Werk. Respektlos übernimmt die Künstlerin klassische Sujets und Motive – besonders liebt sie die Barockzeit mit ihren ausladenden Gewändern, dem mächtigen Faltenwurf, den affektierten Posen und Gesten –, um sie im nächsten Schritt liebevoll und selbstbewusst zu ihren Kompositionen, ihren Bildern und Geschichten zu transformieren. Viele der verwendeten Sujets kennen wir oder glauben wir zu kennen: die Tischgesellschaft, die Lautenspielerin, das Selbstbildnis einer Künstlerin, das Porträt Napoleons, die Frau mit den Weintrauben, die Dame mit dem Hermelin. Und doch sind die Bilder neu und ungewohnt, bisweilen auch irritierend und provokant. Um noch einmal auf Guernica zurückzukommen: Darf man das? Das Anti-Kriegsbild, eine absolute Ikone der Kunstgeschichte, einfach so als Hintergrundfolie verwenden? Für Maderthaner gibt es keinen Zweifel: Ja, frau darf. Es ist ein Bild aus ihrem Bildfundus, wie jedes andere auch.

Wie positioniert sich die Malerei in einer Welt, in der sich die Rolle des Bildes grundlegend gewandelt hat? Lange Zeit hatte die Malerei das Monopol auf das große, farbige und wirkungsmächtige Bild. Doch dann wurde sie von der Fotografie als neues Leitmedium des Bildes abgelöst. Dennoch blieb die Malerei bis weit in das 20. Jahrhundert das unumstrittene Hauptmedium der Kunst. In den letzten Jahrzehnten hat sich das aber nachhaltig verändert. Mit weitreichenden Folgen. „Die hegemoniale Situation des Mediums zwingt den Künstler, mit jedem Werk auch Repräsentationsansprüche zu erfüllen“, betont Fleck, der hier noch einmal zu Wort kommen soll. Die Entlassung der Malerei aus ihrem traditionellen, hegemonialen Status habe dieses Medium möglicherweise mehr noch als die Revolution der klassischen Moderne um 1910 von Bildungen und externen (etwa gesellschaftlichen) Zwängen befreit. Die Malerei als „minderheitliches Medium“ besitze keine gesellschaftliche Begründung mehr, nur noch eine künstlerische.[2] Die neue Rolle der Malerei kann dabei durchaus als Chance gesehen werden, die in der Vielfalt und streckenweise Unabhängigkeit von den nunmehr dominierenden Bildtypen zum Ausdruck kommt. Die Malerin kann in dieser Situation frei entscheiden, in welches Verhältnis zur zeitgenössischen Bildwelt, zu den anderen künstlerischen Medien und zur Tradition der Malerei sie sich mit ihrer Kunst begibt. Das Schöne dabei ist: Heute ist alles in der Malerei möglich und erlaubt. Vielleicht lässt sich auch so die blühende Vielfalt der malerischen Positionen der 2000er Jahre erklären (obwohl das Medium in den internationalen Großausstellungen nicht mehr an erster Stelle erscheint). Maderthaners Malerei ist ein gutes Beispiel für diese These. Die Künstlerin feiert die Malerei, ihre illusionistische Kraft ebenso wie das Spiel mit der abstrakten Form, sie liebt das Zitieren aus der reichhaltigen Kunstgeschichte genauso wie das Einbinden von Motiven aus unserer unmittelbaren Gegenwart. Die Spielräume des malerischen Mediums werden neu entdeckt. Die Folge ist eine regelrechte Narrenfreiheit, die erfrischend und befreiend wirkt. Dazu gehören ein nostalgiefreier Umgang mit der eigenen Position, der Humor und die Ironie ebenso wie das Verbiegen und Verzerren, Hin- und Herwenden, Umkehren, Spiegeln und strukturelle Erneuern der Bildsprachen.

Die Leipziger Künstlerin Rosa Loy hat mir einmal erzählt, sie fasziniere an der Malerei, verschiedene Zeitebenen und Ereignisse zu überlagern und Erzählungen dadurch vielschichtiger zu gestalten, als es eine eindimensionale Nachricht möglich mache. „Ich kann in einem Bild viele Dinge verweben, die parallel stattfinden, indem ich der Kondensator bin und das auf das Bild transportiere“, so die Malerin. „Ich kann also Polyvalenzen ins Bild einbringen und verweben, die zur gleichen Zeit stattfinden, an verschiedenen Orten, in verschiedenen Räumen, das ist egal. Ich habe die Macht, sie auf das Bild zu bannen.“[3] Diese Macht weiß auch Maderthaner zu nutzen. Zeiten und Räume scheinen sich aufzuheben. Gleichzeitig passen ihre Malereien trefflich in unsere Gegenwart und Realität, die von einer unglaublichen medialen Bilderflut gezeichnet sind. Ihr Bilderkosmos charakterisiert eine selbstverständlich gewordene, nicht mehr mit Legitimierungsdruck behaftete Eklektik. Begeistert schöpft sie aus dem Vollen, aus dem unendlichen Bilderreservoir, durch die Neuen Medien ständig verfüg- und abrufbar, nimmt sich das heraus, was sie für die Malereien braucht. „Es ist kein eigener Stil, in dem ich male“, betont die Künstlerin, „ich beherrsche jede Technik, und so sind die Bilder von einem unpersönlichen Stil geprägt.“ Und dennoch – hier widerspricht der Autor der Künstlerin – ist eine malerische Handschrift klar erkennbar, der Wiedererkennungswert ihrer barock manierierten, dynamisch lebendigen wie geheimnisvoll rätselhaften Bildwelten sehr hoch. Letztendlich sei sie eine „Oberflächenfachkraft“, so Maderthaner augenzwinkernd. Doch die Oberflächen, die sie erschafft, haben ein große Tiefe, und das wohl nicht nur im illusionistischen Sinn.

 

Die Zitate von Franziska Maderthaner stammen aus Gesprächen des Autors mit der Künstlerin in ihrem

Atelier am 22. August und am 3. Oktober 2017.

 

[1] Robert Fleck: Die Ablösung vom 20. Jahrhundert. Malerei der Gegenwart, Wien: Passagen Verlag, 2013, S. 18f., 23–27.

[2] Ebd., S. 72, 74.

[3] Rosa Loy und Neo Rauch im Gespräch mit Günther Oberhollenzer, in: Rosa Loy & Neo Rauch. Hinter den Gärten, Ausstellungskatalog, Essl Museum, München: Prestel Verlag, 2011, S. 187–209, hier S. 190f.